trüber Cider

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Fruchtweinkeller
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Re: trüber Cider

Beitrag von Fruchtweinkeller »

Münsterländer hat geschrieben:
Fruchtweinkeller hat geschrieben: Es gibt ja mehr als nur die alkoholische Gärung.
Was könnte neben der alkoholischen malolaktischen Gärung denn noch Kohlensäure produzieren?

Im Wein wenig, aber das reicht im Zweifelsfall :)
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Blackface
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Re: trüber Cider

Beitrag von Blackface »

Alkoholische Gärung ist was anderes als malolaktische Fermentation (MLF). In ersterer wird von Hefen(!) Zucker in Alkohol und CO2 umgewandelt -- es gibt auch noch allerlei Nebenprozesse; Hefen sind komplexe Lebewesen -- in zweiterer von Bakterien(!) vor allem Apfelsäure (malic acid) in Milchsäure (lactic acid). Das führt zu einer Verringerung der Säure, evtl. mehr als einem lieb ist, und einer Veränderung des Aromencocktails. Die leicht buttrigen Noten in manchen Chardonnays stammen aus einer MLF. Ob das Blubbern im Gärröhrchen auf alkoholische oder malolaktische Gärung zurückzuführen ist, siehst du daran, dass Hefen den Cider trüb erscheinen lassen, Bakterien, die um ein vielfaches kleiner sind, klar. Temperaturschwankungen sind eine weitere mögliche Ursache für den gelegentlichen Blubb.

MLF lässt sich durch Sulfitgabe verhindern bzw. stoppen, die alkoholische Hefegärung nicht. Ich habe das noch nie gemacht und finde die MLF-Noten im Cider ganz interessant, wenn sie denn überhaupt passieren.

Wie beim Wein verändert sich der Cider in vielerlei subtiler Hinsicht über die Monate. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt scheint er runder, reifer zu werden. Dabei durchläuft mancher aber auch Phasen, in denen er deutlich suboptimal schmeckt. Ist halt ein lebendes Wesen, wie du und ich, Geduld hilft oft: in zwei Wochen nochmal ein Fläschchen probieren.

Mich hat es noch nie nach einem süßen Cider verlangt; was in den Supermarktregalen steht, ist viel Soft-Drink-Technologie und wenig Handwerk: Glukosewein mit Wasser und Apfelkonzentrat. In England und Frankreich gibt es traditionelle Methoden, der Hefe durch die Förderung eines Pektin-Gels direkt nach der Pressung Nährstoffe zu entziehen, um eine unvollständige alkoholische Gärung und somit süßeren Cider/Cidre zu bekommen. Kompliziert, Glücksache und, wie man liest, mit hiesigen Nicht-Cider-Äpfeln kaum hinzubekommen.

Persönlich halte ich nix von übermäßiger Zuckerzugabe zum Cider um ihn auf Alk oberhalb von 8% zu puschen. Da trink ich lieber mal ein Fläschchen mehr ;) Wenn man sauber arbeitet (und vorratsangepasst trinkt ;) ), hält sich der sieben- bis achtprozentige mehrere Jahre.

Unser Cider ist auch niemals nach 14 Tagen durchgegoren. Nach 14 Tagen fängt manches Fass erst mit der Gärung an! Der Cider steht bis zum Spätwinter/Frühjahr auf der ersten Hefe, und zwar bei Außentemperaturen. Wir haben es noch nicht anders probiert, aber an mehreren Orten gelesen, dass so ein reicheres Aroma entsteht als bei der Hau-Ruck-Gärung mit Reinzuchthefe.

Flaschenbomben: Wenn der Cider gut durchgegoren ist (Oechslegrade um den Nullpukt), dann wird eine gut eingemischte Zuckergabe von 10g/l; wiederum gut durchgegoren, so etwas zwischen Perl- und Schaumwein ergeben, durchaus bierflaschentauglich. Bei unseren großen Fässern von 180 Litern nehmen wir 1,8 kg Zucker und erhitzen den in 1,8 Litern Wasser bis er ganz aufgelöst ist. Das kommt (abgekühlt) dann zuerst in das Fass, aus dem wir den Abfüllapparat füttern, und dann pumpe ich den Cider von seinem letzten Bodensatz ab in dieses Fass. dabei findet eine recht gleichmäßige Vermischung statt. Sobald ca. ein Viertel vom Cider umgepumpt ist, gebe ich die "unterdosierte" rehydrierte Champagner-Hefe dazu. Die gibt (hoffe ich) einen etwas festeren Bodensatz als die rübergespülten Rest-Hefen der ursprünglichen halbwilden Gärung.

Beste Grüße -- Thomas
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Fruchtweinkeller
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Re: trüber Cider

Beitrag von Fruchtweinkeller »

vor allem Apfelsäure (malic acid) in Milchsäure (lactic acid)
Das machen "vor allem" spezielle Milchsäurestämme unter speziellen Bedienungen, die man bei der Weinbereitung einzustellen versucht. Die Sippschaft dieser Bakterien ist freilich sehr groß, und ebenso groß ist das Spektrum der Reaktionen die allesamt unerwünscht sind. Und es gibt in der Sippschaft auch fiese Gesellen mit ausgesprochen hoher Schwefeltoleranz.
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Münsterländer
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Re: trüber Cider

Beitrag von Münsterländer »

Danke, Thomas, für die lange und schnelle Antwort!

Ich hatte bei meiner Frage "Was könnte neben der alkoholischen malolaktischen Gärung denn noch Kohlensäure produzieren?" aus Versehen das "und" zwischen "alkoholischen" und "malolaktischen" vergessen.

Ich hatte Fruchtweinkeller so verstanden, dass die Berechnung des Drucks (x gr. Zucker ergibt x bar Druck), wie man sie (vereinfacht gesagt) beim Bier vornimmt, nicht auf den Wein übertragbar ist, da durch die malolaktische Gärung noch zusätzliche Kohlensäure entstehen kann, die dann trotz vorheriger Berechnung zu einem Überdruck führt.

Aber ich verstehe dich schon richtig, Thomas, dass es bei euch noch zu keinen Flaschenbomben gekommen ist oder?
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Fruchtweinkeller
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Re: trüber Cider

Beitrag von Fruchtweinkeller »

So war es auch gemeint. Wohlgemerkt: Kann ein Problem sein, muss kein Problem sein. Wobei ein low alk Ansatz mit wenig Säure und noch ein paar Rest-Hefezellen sicherlich empfindlicher ist; Risikofaktoren siehe HP, Weinfehler und Weinkrankheiten, Milchsäurestich.
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Re: trüber Cider

Beitrag von Blackface »

Fruchtweinkeller hat geschrieben:
vor allem Apfelsäure (malic acid) in Milchsäure (lactic acid)
Das machen "vor allem" spezielle Milchsäurestämme unter speziellen Bedienungen, die man bei der Weinbereitung einzustellen versucht. Die Sippschaft dieser Bakterien ist freilich sehr groß, und ebenso groß ist das Spektrum der Reaktionen die allesamt unerwünscht sind. Und es gibt in der Sippschaft auch fiese Gesellen mit ausgesprochen hoher Schwefeltoleranz.
Nun ja. "einzustellen versucht" und "allesamt unerwünscht" widerspricht sich ein wenig, oder habe ich was missverstanden?

Wie dem auch sei: Im englischsprachigen Raum wird eine malolaktische Fermentation durchaus begrüßt, besonders bei Ciders mit geringem Anteil von säurearmen Cider-Äpfeln. Mancher benutzt auch die Reinzucht-Milchsäurekulturen, die die Winzer benutzen, das Ergebnis scheint aber weniger "interessant" zu sein.

Münsterländer: Nein, beim Cider hatten wir noch keine Flaschenbomben. Nur einmal zu Anfang überraschende Fontänen beim Öffnen, aber da hatte ich den Zucker in den Abfülleimer gekippt ohne ihn vorher aufzulösen, d.h. er war sehr ungleich auf die Flaschen verteilt. :roll: Die MLF ist bei uns wahrscheinlich größtenteils schon abgeschlossen (wenn sie überhaupt passiert), wenn wir im April/Mai abfüllen. Bei der Hau-Ruck-Gärung kann das evtl. anders sein.

Beste Grüße -- Thomas
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Re: trüber Cider

Beitrag von Blackface »

Fruchtweinkeller hat geschrieben:So war es auch gemeint. Wohlgemerkt: Kann ein Problem sein, muss kein Problem sein. Wobei ein low alk Ansatz mit wenig Säure und noch ein paar Rest-Hefezellen sicherlich empfindlicher ist; Risikofaktoren siehe HP, Weinfehler und Weinkrankheiten, Milchsäurestich.
"Wenig Säure" ist bei den hier verfügbaren Tafel- und Kochäpfeln eine echte Seltenheit. Das passiert vielleicht mal im Ciderland (West Counties), wenn jemand zu viele Sweet- und Bittersweet-Sorten verwendet.

Vielleicht sollte ich auch noch die Sulfitgabe direkt nach dem Pressen erwähnen, in einer Dosis -- abhängig vom pH-Wert --, die die Hefen überleben lässt aber die Bakterien zurückdrängt.

Ich bin kein Chemiker oder Biologe und arbeite bloß "nach Rezept": Wer des Englischen halbwegs mächtig ist, lese sich ein paar Kapitel von Andrew Lea's Website durch, da ist das alles ziemlich umfassend und genau erklärt. Der Mann ist pensionierter Lebensmittelchemiker und hat viele Jahre im nationalen Cider-Forschungsinstitut in Long Ashton bei Bristol gearbeitet. Heute ist er die Autorität im Bereich Craft Cider.

Beste Grüße -- Thomas
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Re: trüber Cider

Beitrag von Fruchtweinkeller »

Alle Reaktionen sind unerwünscht bis auf eine. Das ist dir hoffentlich genau genug formuliert?

Und bitte Mehrfachpostings vermeiden, das fördert nicht die Lesbarkeit.
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Re: trüber Cider

Beitrag von Blackface »

Bin schon still.
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Re: trüber Cider

Beitrag von cider »

Tach Cidre-Fraktion,

ich bin ja von so viel Fachwissen schwer begeistert!

Gestern habe ich das Verkosten gestartet. Und ich muss sagen, nach 16 Tagen ist da schon ein sehr leckeres Getränk entstanden. Der Cidre war noch recht süß, ich konnte aber schon deutlich den Alkohol herausschmecken! Er hat uns so gut geschmeckt, das am Ende ca. 2 Liter fürs probieren herhalten mussten.

Heute habe ich nochmal einen 20 Liter-Ballon in die Mosterei gebracht. So, jetzt habe ich in Thomas seinem Kommentar gelesen, dass er keine Reinzuchthefe verwendet, welche Hefe nimmst du dann?

Gruß Cider
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Re: trüber Cider

Beitrag von Blackface »

Wenn sich nach knapp zwei Wochen noch keine spontane Gärung eingestellt hat, nehme ich bislang in der Tat "Kitzinger Steinberg". Aber vor allem eben nicht Hau-Ruck: ziemlich kalt und ohne Schütteln oder Zugabe von Hefenährstoffen o.ä.

Beste Grüße -- Thomas
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Re: trüber Cider

Beitrag von cider »

Hast du Erfahrung mit Most aus der Mosterei, bzgl. der spontanen Gärung oder nimmst du immer nur Saft von Äpfel die du "persönlich kennst"? Gibst du am Anfang noch Zucker dazu oder machst du es vom Rohstoff abhängig?

Wie verhält sich die spontane Gärung, brauche ich genauso viel Lust nach Oben, im Ballon, wie mit Reinzuchthefe?

Vielen Dank, jetzt schon Mal!

Gruß Cider
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