Herstellungsverfahren älterer Generation

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Doomed_Angel
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Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von Doomed_Angel »

Hey,

da ich meine Weinutensilien von meinem Opa bekommen habe, gab es noch gratis Tipp's dazu.
Eine Sache beschäftigt mich davon sehr und möchte mich daran auch nicht halten. Denn er meinte, wenn sich die Hefe absetzt solle man abziehen, immer wieder, wenn sich etwas absetzt. Aber handelt man sich dadurch nicht nur eine Gärstockung oder eine Nachgärung ein?
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Latemar
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Re: Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von Latemar »

Hallo Doomed_Angel,

auch vom mir noch ein Willkommen hier im Forum.
Bezüglich deiner Frage:
Folgender (grober) Ablauf:
Wein ansetzen
Gärung setz (hoffentlich) in kürze ein
Irgendwann ist der Zucker zu Ende und die Gärung lässt nach oder kommt zum erliegen.
evtl. Alkohol messen (Vinometer)
Wenn Alkohol-Toleranzgrenze der Hefe noch weit entfernt ist, Zucker nachgeben für ca. 1% Alkohol.
Irgendwann, wenn die Gäraktivität sich verlangsamt, wird sich zwangsweise ein Bodensatz bilden. Diesen durch (am besten tägliches) aufrühren/schwenken untermischen.
Wenn Alkoholgrenze erreicht ist (keine Gärung mehr), dann dem Wein zum Schutz gegen Oxidation mit Schwefel behandeln und kalt stellen.
Nach einigen Tagen/2 Wochen werden sich sowohl die Hefe als auch Trubstoffe absetzen.
Jetzt wird der Wein vom Bodensatz abgezogen und zur weiteren Klärung kalt gestellt.

Hast du dir schon Gedanken über eine Vermeidung von Nachgärungen gemacht? (Stabilisierung)

Gruß
Latemar
Jedermann gibt zum ersten guten Wein, und wenn sie trunken geworden sind, alsdann den geringeren; Joh.2,10
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JasonOgg
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Re: Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von JasonOgg »

Das wird eine schwierige Antwort.

Zuerst zu dem traditionellem Verfahren:

Hat dein Opa nachgezuckert? Wahrscheinlich nicht. Ich gehe davon aus, dass die Verfahrensunterschiede auch beachtet werden müssen.

Grundsätzlich setzt sich die Hefe ab, wenn sie kaum noch arbeitet und CO2 erzeugt und daher die Gärung sich dem Ende zuneigt. Das bedeutet aber nicht dass sie durch ist.

In der traditionellen Methode ist jetzt der vergärbare Zucker aufgebraucht, die Hefe und Trübstoffe setzen sich ab und werden nicht mehr benötigt.

Mit der Nachzuckermethode wird der Hefe regelmäßig Zucker zugeführt, bis die Alkoholtoleranzgrenze erreicht ist, die Hefe vergiftet sich mit dem Alkohol selber. Auch hier setzen sich Hefe und Trübstoffe ab. Es wird empfohlen, den Wein leicht zu schwefeln, dass beschleunigt das absetzen und dient als Oxidationsschutz beim Abziehen. Das kann man auch bei traditionellen Methode machen und ist genauso sinnvoll.

In beiden wird man das noch ein zwei Wochen stehenlassen und dann abziehen.
Achtung! Der Wein ist jetzt noch nicht hefefrei. Das bedeutet bei der Nachzuckermethode, dass er weitergären wird, wenn die Alkoholtoleranzgrenze noch nicht erreicht ist, es ist ja noch Zucker da. Das ist normalerweise der einzige kritische Punkt, der durch filtern deutlich entschärft werden kann. Traditioneller Wein ist (fast) zuckerfrei, also risikoärmer, dafür trocken. Zucker ist auch Geschmacksverstärker.

Danach kann man den Wein getrost über Monate vergessen (Gärspund darf nicht austrocknen). Ob es Vorteile hat ihn mehrmals abzuziehen, dass weiß ich nicht. Das was jetzt noch an (Fein-)Hefe drin ist soll sogar aromafördernd sein. Gehe davon aus, dass in ungefiltertem Wein immer eine (unkritische) Staubschicht sich in der Flasche absetzt, es gibt immer noch feinste Trubstoffe, die sich erst nach einem Jahr oder später entscheiden zu Boden zu sinken.

Je weniger Biomasse auf dem Boden eines Ballons ist, desto geringer ist das Risiko, dass man sich etwas einfängt, weil es sich zersetzen kann. Aber anders betrachtet, Sekt oder Weizenbier steht auch sehr lange auf der Hefe.

Das wichtigste ist mit der bestmöglichen Qualität so sauber wie möglich zu arbeiten (kein Schmutz, kein Schimmel, keine Faulstellen, keine Fruchtfliegen usw.), dann klappt der Rest i.d.R. von alleine.

Die Homepagekennst Du?
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JasonOgg
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Re: Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von JasonOgg »

Doomed_Angel hat geschrieben:Aber handelt man sich dadurch nicht nur eine Gärstockung oder eine Nachgärung ein?
Auf die Gärstockung war ich nicht eingegangen.

Die Hefe sollte unter möglichst optimalen Bedingungen arbeiten können. Das heißt Nährsalz für beste Gesundheit, immer ausreichend aber nicht zu viel Zucker, möglichst im optimalen Temperaturbereich und keine Temperaturschwankungen. Je höher der Alkoholgehalt, desto empfindlicher reagiert die Hefe. Wenn sie aus dem Tritt gerät, dann redet man von einer Gärstockung. Bei niedrigen Alkoholwerten kommt sie meist von alleine wieder in Gang, aber in der Regel nicht mehr so gärfreudig wie am Anfang.

Oder kurz, wenn du nachzuckerst, dann lass sie nicht verhungern. Der Ballon steht ja meist sowieso immer an der gleichen Stelle. Zum klären so kalt wie möglich stellen.
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Re: Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von Doomed_Angel »

Danke Latemar für deine Zusammenfassung, aber die Schritte sind mir theoretisch bekannt, nur noch nicht vollständig praktisch erprobt.
Die Nachgärung soll durch die gezielt Nachzuckerung vermieden werden.

Und danke Jason für deine ausführliche Antwort. Ich denke, du hast soweit meine Fragen geklärt und glaube mein Opa hat damals nicht nachgezuckert. Die Homepage kenn ich relativ gut, aber noch lange nicht auswendig :D
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JasonOgg
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Re: Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von JasonOgg »

Doomed_Angel hat geschrieben:Die Homepage kenn ich relativ gut, aber noch lange nicht auswendig :D
Psssst. nicht dem Chef verraten, aber ich auch nicht :pfeif:

Wenn ich mir unsicher bin, dann lese ich noch einmal nach. Abgesehen davon ist sie nicht als Doktrin gedacht, sondern als begründete Richtschnur für ein Verfahren mit dem man etwas sehr leckeres herstellen kann.
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Re: Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von Doomed_Angel »

JasonOgg hat geschrieben:Psssst. nicht dem Chef verraten, aber ich auch nicht :pfeif:

Werd ich nicht machen :pfeif:
JasonOgg hat geschrieben:Wenn ich mir unsicher bin, dann lese ich noch einmal nach. Abgesehen davon ist sie nicht als Doktrin gedacht, sondern als begründete Richtschnur für ein Verfahren mit dem man etwas sehr leckeres herstellen kann.
So hab ich mir es schon gedacht, nur als Frischling hängt man sich gern an was festes ?-|
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Re: Herstellungsverfahren älterer Generation

Beitrag von Fruchtweinkeller »

Man kann das als antiquierte und unsichere Methode, den Wein zu stabilisieren, verstehen. Heute, gerade dank der Filterschichten, sind wir zum Glück weiter.

Beispiel: Ich vergäre mit riesigem Überschuss Zucker, der mir eine Gärstockung beschert. Bei niedriger Gäraktivität habe ich folglich noch Restsüße; dann ziehe ich von der Hefe ab. Da diese noch nicht tot ist und sich womöglich noch minimal vermehrt, insbesondere wenn sie durch Sauerstoffkontakt "vitalisiert" wird, muss ich das wiederholen. Wenn ich das oft genug mache erreiche ich irgendwann einen Punkt wo Nachgärungen in der Flasche vielleicht nur noch minimal ausfallen oder sogar ganz ausbleiben, sprich ich habe keine Flaschenbombe mehr.

Dabei steht der Wein freilich elendig lange herum, hat oft Luftkontakt, ich kann die Restsüße nicht wirklich kontrollieren, der Verlust durch mehrfaches Abziehen addiert sich, und sicher ist das auch nicht. Ich halte das daher nicht für empfehlenswert.
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